Liegt ein auffälliges Missverhältnis i.S.v. § 138 I BGB vor, weil der Wert der Arbeitsleistung den Wert der Gegenleistung um mehr als 50 %, aber weniger als 100 % übersteigt, bedarf es zur Annahme der Nichtigkeit der Vergütungsabrede zusätzlicher Umstände, aus denen geschlossen werden kann, der Arbeitgeber habe die Not oder einen anderen den Arbeitnehmer hemmenden Umstand in verwerflicher Weise zu seinem Vorteil ausgenutzt. Ist der Wert der Arbeitsleistung hingegen (mindestens) doppelt so hoch wie der Wert der Gegenleistung, liegt ein besonders grobes Missverhältnis vor, das eine tatsächliche Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten begründet.

Der Kläger arbeitete bei der dem Deutschen Roten Kreuz angehörenden Arbeitgeberin im Nebenerwerb als Rettungssanitäter. Hierzu „bewarb“ er sich jeweils auf nach Einteilung der Vollzeitbeschäftigten noch offene Dienste und übernahm Vertretungen. Er war nicht zur Übernahme von Diensten verpflichtet und konnte bereits übernommene Dienste stornieren. Der Kläger erhielt zunächst 3,20 EUR/Std. bei Nachtdiensten und 5,20 EUR/Std. tagsüber, später einheitlich 5,11 EUR/Std. Er hielt die Vergütung für sittenwidrig niedrig und klagte auf einen höheren Lohn. Das ArbG hat der Klage stattgegeben, das LAG hat sie abgewiesen.

Die Revision war erfolglos. Lohnwucher nach § 138 II BGB scheide nach Auffassung des BAG bereits aus, weil der Kläger nicht dargelegt habe, dass die Arbeitgeberin eine Zwangslage oder Unerfahrenheit ausgebeutet hätte.

Ein wucherähnliches Geschäft i.S.d. § 138 I BGB liege ebenso nicht vor. Das BAG nimmt zwar den objektiven Tatbestand des wucherähnlichen Geschäfts (auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung) an. Dabei bestätigt es seine Rechtsprechung, nach der es den Wert der Arbeitsleistung i.d.R. anhand der üblicherweise im jeweiligen Wirtschaftszweig gezahlten Tarifentgelte bestimmt. Von „Üblichkeit“ sei auszugehen, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebiets tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebiets beschäftigen. Die tarifgebundene Arbeitgeberin leiste 83 % aller rettungsdienstlichen Einsätze. Daher könne unterstellt werden, dass sie 50 % der Arbeitnehmer dieses Bereichs beschäftige. Der bei ihr anwendbare Entgelt-TV sei deshalb “üblich“. Die Vergütung des Klägers habe unterhalb der maßgeblichen Grenze von 2/3 des Tariflohns gelegen.

Das BAG verneint jedoch den subjektiven Tatbestand von § 138 I BGB. Der Kläger habe nicht dargelegt, dass die Arbeitgeberin in verwerflicher Gesinnung handelte. Bei der Darlegungslast differenziert es nach dem Ausmaß des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Mache der Wert der Gegenleistung 50 % oder weniger des Wertes der Arbeitsleistung aus, werde eine verwerfliche Gesinnung vermutet. Liege der Wert der Gegenleistung oberhalb der 50 %-Grenze, müsse der Arbeitnehmer zusätzliche Umstände darlegen und beweisen, aus denen z.B. auf die Ausnutzung einer Notlage geschlossen werden könnte. Der Kläger habe die Entlohnung bei jedem Einsatz neu akzeptiert. Eine Druck- oder Notsituation sei nicht erkennbar. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die Arbeitgeberin als Untergliederung des Deutschen Roten Kreuzes ausschließlich gemeinnützige und mildtätige Zwecke verfolge und zu einer Gewinnerzielung nicht berechtigt sei.

BAG, Urteil vom 16.05.2012 – 5 AZR 268/11

(Quelle: Beck online)