Beteiligt sich ein außerordentlich gekündigter Arbeitnehmer an einem Streik, steht ihm für diese Zeit auch dann kein Annahmeverzugslohn zu, wenn in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt wird. Wer streikt, ist nicht leistungswillig i.S.d. § 297 BGB.
Im März 2010 forderte die zuständige Gewerkschaft die nicht tarifgebundene Beklagte zur Aufnahme von Tarifverhandlungen über den Abschluss eines Haustarifvertrags auf. Am 08.04.2010 wurde eine Tarifkommission gewählt. Am Folgetag kündigte die Beklagte der Klägerin und weiteren Mitgliedern der Tarifkommission ordentlich zum 30.06.2010. Am 12.04.2010 rief die Gewerkschaft die Belegschaft der Beklagten zum Streik auf. Am 24.04.2010 kündigte die Beklagte der streikenden Klägerin sowie weiteren Arbeitnehmern fristlos. Die Klägerin und die anderen gekündigten Beschäftigten erhoben Kündigungsschutzklage. Mit Urteil vom 14.07.2010 stellte das ArbG die Unwirksamkeit sämtlicher außerordentlicher und ordentlicher Kündigungen fest. Der Streik wurde daraufhin – ohne Tarifabschluss – beendet.
Die Klägerin nahm die Beklagte gerichtlich auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom 25.04.2010 bis zum 15.07.2010 in Anspruch. ArbG und LAG wiesen die Klage ab.
Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des BAG hat sie keinen Vergütungsanspruch für den streitgegenständlichen Zeitraum. Zwar wäre die Beklagte durch den Ausspruch der unwirksamen außerordentlichen Kündigung vom 22.04.2010 an sich in Annahmeverzug gekommen. Dem Anspruch auf Verzugslohn nach § 615 Satz 1 BGB stehe jedoch entgegen, dass die Klägerin sich in der Zeit, für die sie Annahmeverzugsvergütung verlangt, an dem von der Gewerkschaft geführten Streik beteiligt hat. Die Klägerin sei daher nicht leistungswillig i.S.d. § 297 BGB gewesen.
Dem Einwand der Klägerin, sie sei nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung durch die Beklagte nicht mehr deren Arbeitnehmerin gewesen, folgte das BAG nicht. Wegen des aus Sicht der Klägerin erfolgreichen Kündigungsschutzprozesses habe das Arbeitsverhältnis nicht geendet, sondern im streitgegenständlichen Zeitraum fortbestanden.
Der Sachverhalt sei auch nicht vergleichbar mit dem eines Arbeitnehmers, der sich für den Zeitraum der Streikteilnahme in zulässiger Weise aus dem betrieblichen Zeiterfassungssystem abmeldet. Während sich dieser Arbeitnehmer während der Teilnahme an der Streitkundgebung in Freizeit befinde und deshalb durch die Streikteilnahme keine Arbeitspflichten aufheben könne, habe sich die Klägerin nicht in ihrer Freizeit an einem Streik beteiligt, sondern zu einer Zeit, während derer sie nach objektiver Rechtslage zur Erbringung einer Arbeitsleistung verpflichtet gewesen wäre.
Das Urteil ist überzeugend begründet. Nach § 297 BGB setzt Annahmeverzug Leistungsvermögen des Arbeitnehmers voraus. Der Arbeitnehmer muss subjektiv willens und objektiv in der Lage sein, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, wie dies etwa bei Krankheit oder einem Beschäftigungsverbot der Fall ist, kann Annahmeverzug nicht bestehen (ErfK/Preis, § 615 BGB Rn. 43 m.w.N.).
Könnte die Klägerin für die Dauer der Streikteilnahme eine Vergütung beanspruchen, wäre dies im Übrigen eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung im Verhältnis zu ungekündigten streikenden Arbeitnehmern. Diese verlieren wegen der Streikteilnahme ihren Vergütungsanspruch.
Allerdings hatte die Klägerin im Verfahren darauf hingewiesen, dass die Gewerkschaft einem ungekündigten Arbeitnehmer während des Streiks eine Streikbeihilfe, einem gekündigten Arbeitnehmer dagegen nur eine geringere und zudem zurückzuzahlende Solidaritätsunterstützung gewährt. Möglicherweise wird das vorliegende Urteil dazu führen, dass entsprechende Bestimmungen in den Satzungen der Gewerkschaften geändert werden.
BAG, Urteil vom 17.07.2012 – 1 AZR 563/11
(Quelle:beck-fachdienst Arbeitsrecht – FD-ArbR 2012, 340413)