Eine allergische Reaktion, die auf einem versehentlichen oder unbewussten Verzehr von allergenhaltigen Nahrungsmitteln beruht, stellt einen Unfall im Sinn der privaten Unfallversicherung dar. Dies hat das Oberlandesgericht München mit Urteil vom 01.03.2012 entschieden. Außerdem sei eine allergische Reaktionsbereitschaft des Körpers auf bestimmte Lebensmittelstoffe keine Vorerkrankung und mindere daher nicht die Ansprüche gegen die Versicherung. Das OLG hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Ein 15-jähriges, auf Nahrungsmittel allergisches Kind verstarb nach dem mutmaßlichen Verzehr von nusshaltiger Schokolade an den Folgen einer allergischen Reaktion. Die Mutter des Kindes hatte eine private Unfallversicherung abgeschlossen, bei der das Kind mitversichert war. Dem Vertrag lagen die allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen der Beklagten (GUB 99) sowie die «Allgemeine(n) Verbesserungen zu den GUB 99 – Euro ohne besondere Gliedertaxe» zugrunde. Die Mutter forderte von der Versicherung die für den Fall eines Unfalltodes den gesetzlichen Erben geschuldete Versicherungssumme von 27.000 Euro. Die Versicherung verweigerte die Zahlung mit der Begründung, die Todesursache sei nicht geklärt. Außerdem liege kein Unfall vor. Die anschließende Klage der Mutter wies das Landgericht Memmingen ab, weil eine hochallergische Reaktion jedenfalls nicht unter den Unfallbegriff falle.
Das OLG hat die Entscheidung des LG aufgehoben. Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens stand für das Gericht fest, dass der Tod des Kindes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Folge einer allergischen Reaktion auf Nahrungsmittel war. Dabei sei letztlich nicht entscheidungserheblich, welches Nahrungsmittel die Reaktion ausgelöst habe. Mit großer Sicherheit habe das Kind aber unbemerkt Schokoladetäfelchen gegessen, die möglicherweise Nussbestandteile beinhaltet hätten. Nach Auffassung des OLG stellt das versehentliche oder unbewusste Verzehren von Allergenen zusammen mit anderen Nahrungsstoffen und die dadurch ausgelöste allergische Reaktion des Körpers auch einen Unfall im Sinn der privaten Unfallversicherung dar.
Ein Unfall liege dann vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper einwirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Das OLG erläutert, dass das Erfordernis des von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses der Abgrenzung zu dem nur inneren Körpervorgang diene. Das Merkmal der Unfreiwilligkeit beziehe sich nicht auf die Einwirkung von außen, sondern auf die dadurch bewirkte Gesundheitsschädigung. Anschließend führt das OLG aus, dass die erste Gesundheitsschädigung unmittelbar durch das Aufeinandertreffen (nusshaltiger) Schokolade auf die Mundschleimhaut des Kindes ausgelöst worden sei. Die Schokolade habe von außen eingewirkt. Da die gesundheitsschädigende Einwirkung der Allergene auf den Körper des Kindes unfreiwillig und plötzlich, nämlich unerwartet innerhalb eines kurzen Zeitraums erfolgt sei, liege nach der Definition des § 178 Abs. 2 VVG im vorliegenden Fall ein Unfallgeschehen vor. Auf die Frage einer (analogen) Anwendung der Mitversicherung von Kindern bis 14 Jahren bei Vergiftungen komme es für die Entscheidung nicht mehr an.
Laut OLG vermindert sich die Leistungspflicht der privaten Unfallversicherung auch nicht etwa wegen der Mitwirkung bereits vorhandener Krankheiten oder Gebrechen bei den Unfallfolgen. Unter Krankheit im Sinne dieser Klausel sei ein regelwidriger Körperzustand zu verstehen, der eine ärztliche Behandlung erfordere. Allein die allergische Reaktionsbereitschaft stellt jedoch nach Ansicht des Gerichts keine Krankheit dar. Krankmachende Symptome träten nach der Sensibilisierung erst bei neuerlichem Kontakt mit dem für die individuelle Person relevanten Allergen auf. Solange der allergene Stoff vermieden werde, könne der Allergiker also problemlos und uneingeschränkt ohne ärztliche Behandlung leben.
OLG München, Urteil vom 01.03.2012 – 14 U 2523/11