Anleger, die insbesondere Lehman-Zertifikate per Telefon oder E-Mail erworben haben, können ihre auf Abschluss der Erwerbsverträge mit der Bank gerichtete Willenserklärung nicht nach den Regeln über den Fernabsatz widerrufen. Das hat der Elfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in zwei Fällen entschieden. Die Richter verweisen darauf, dass der Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB bei dem Erwerb solcher Papiere das Risiko eines wenigstens mittelbar finanzmarktbezogen spekulativen Geschäfts mit seinem Abschluss in gleicher Weise auf beide Parteien verteilen soll. Der Anleger, der wie in den entschiedenen Fällen zugleich Verbraucher sei, solle einen drohenden Verlust aufgrund fallender Basiswerte innerhalb der Widerrufsfrist nicht durch Ausübung des Widerrufsrechts auf den Unternehmer abwälzen können.

n den beiden entschiedenen Fällen erwarben die Anleger von derselben beklagten Bank «Global Champion-Zertifikate». Hierbei handelte es sich um Inhaberschuldverschreibungen der niederländischen Lehman Brothers Treasury Co. B.V., deren Rückzahlung von der US-amerikanischen Lehman Brothers Holdings Inc. garantiert wurde. In der Sache XI ZR 384/11 erteilten die Klägerin und ihr Ehemann aufgrund eines mit einem Mitarbeiter der Beklagten geführten Beratungsgesprächs im Februar 2007 den Auftrag zum Kauf von 16 Zertifikaten, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob das Verkaufsgespräch ganz oder teilweise telefonisch erfolgte. Das Geschäft wurde von der Beklagten im Eigenhandel zu einem Festpreis ausgeführt. Nach der Insolvenz der Emittentin und der Garantin wurden die Zertifikate weitgehend wertlos. Im Februar 2010 erklärten die Eheleute den Widerruf aller von ihnen im Zusammenhang mit dem Kauf abgegebenen Erklärungen. In der Sache XI ZR 439/11 erwarb der Ehemann der Klägerin auf Empfehlung von Mitarbeitern der beklagten Bank ebenfalls aufgrund von Telefonaten und per E-Mail «Global Champion-Zertifikate». Im Juli 2011 widerrief der Anleger sämtliche Vertragserklärungen gegenüber der beklagten Bank. Beide Kläger verlangen aus eigenem und abgetretenem Recht ihrer Ehepartner im Wesentlichen die Rückzahlung des Anlagebetrages. Ihre Klagen blieben in sämtlichen Instanzen ohne Erfolg.

Der BGH verweist auf § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB. Danach könne eine auf Abschluss eines Fernabsatzvertrages gerichtete Willenserklärung dann nicht widerrufen werden, wenn Gegenstand des Vertrages die Verschaffung von Finanzdienstleistungen sei, deren Preis innerhalb der Widerrufsfrist Schwankungen auf dem Finanzmarkt unterliege und der Preis dem Einfluss des Unternehmers, hier der Bank, entzogen sei. Dabei sei der Begriff des Preises nach der Systematik und der Gesetzgebungsgeschichte weit zu verstehen. «Preis» sei dabei nicht nur ein Börsen- oder Marktpreis, der für das Produkt selbst auf dem Finanzmarkt gezahlt werde, sondern könne im Sinne des § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB vielmehr auch die Parameter erfassen, von denen der Wert des Finanzprodukts abhänge.

So sollten laut BGH etwa in dem einen Fall die Bonuszahlungen und die Rückzahlung der Lehman-Zertifikate in Abhängigkeit von der Entwicklung dreier Aktienindizes (Dow Jones EuroSTOXX 50, Standard & Poor´s 500 sowie Nikkei 225) während dreier aufeinander folgender Beobachtungszeiträume ab dem 07.02.2007 erfolgen. Entsprechend habe der innere Wert der Zertifikate mit Beginn der Beobachtungszeiträume von Parametern («Basiswerten» oder «Underlyings») abgehängt, nämlich der Entwicklung der drei Aktienindizes, die von der beklagten Bank nicht beeinflussbaren Schwankungen auf den Finanzmärkten unterworfen gewesen seien.

Der Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB bei dem Erwerb solcher Papiere solle das Risiko eines wenigstens mittelbar finanzmarktbezogen spekulativen Geschäfts mit seinem Abschluss in gleicher Weise auf beide Parteien verteilen. Der Anleger, der wie in den entschiedenen Fällen zugleich Verbraucher ist, solle einen drohenden Verlust aufgrund fallender Basiswerte innerhalb der Widerrufsfrist nicht durch Ausübung des Widerrufsrechts auf den Unternehmer abwälzen können, so der BGH.

BGH, Urteil vom 27.11.2012 – XI ZR 384/11; XI ZR 439/11

(Quelle: Beck online)