Enthält ein «Berliner Testament» eine Pflichtteilsstrafklausel, greift diese auch dann ein, wenn ein Träger der Sozialhilfe beim Tod des erstversterbenden Ehegatten aus übergegangenem Recht für eines der Kinder den Pflichtteil verlangt. In einem solchen Fall kann der Pflichtteilsanspruch des Kindes nach Tod des Letztversterbenden nicht durch ein «Behindertentestament» ausgeschlossen werden. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm am 28.02.2013 entschieden.
Ein Ehepaar aus Essen hatte sich in 1979 und 1995 errichteten «Berliner Testamenten» wechselseitig zu Erben eingesetzt und bestimmt, dass ihre vier Töchter Schlusserben nach dem Tode des Letztversterbenden werden sollen. Zugleich hatten sie angeordnet, dass ein Kind, das nach dem Tode des Erstversterbenden den Pflichtteil fordert, auch nach dem Tod des später Versterbenden auf den Pflichtteil beschränkt sein sollte (Pflichtteilsstrafklausel). Die jüngste Tochter des Ehepaars ist seit ihrer Geburt schwer behindert, lebt in einer Behinderteneinrichtung und steht im Leistungsbezug des klagenden Landschaftsverbands. Nach dem Tode des Vaters im Jahr 1997 machte der Kläger aus übergegangenem Recht der jüngsten Tochter gegen die überlebende Mutter erfolgreich einen Pflichtteilsanspruch geltend.
Mit einem 1998 errichteten notariellen Testament setzte die Mutter alle 4 Töchter zu gleichen Teilen als Erben ein und ordnete bezüglich ihrer jüngsten Tochter eine Vorerbschaft an, wobei ihre Schwestern Nacherben sein sollten (sogenanntes Behindertentestament). Hiermit sollte ein weiterer Zugriff des Klägers auf das Erbe der behinderten Tochter beim Versterben der Mutter verhindert werden. Nach dem Tode der Mutter im Jahr 2010 verlangte der Kläger, wiederum aus übergegangenem Recht der jüngsten Tochter, von den drei weiteren Schwestern erneut den Pflichtteil. Diesen verweigerten die Schwestern unter Hinweis darauf, dass ihre jüngste Schwester aufgrund des Testaments aus dem Jahr 1998 Vorerbin und deswegen nicht pflichtteilsberechtigt sei. Das Landgericht gab der Klage statt.
Das OLG hat das vorinstanzliche Urteil zugunsten des Landschaftsverbands bestätigt. Es stellte klar, dass die im Leistungsbezug stehende behinderte Tochter nach dem Tode der Mutter pflichtteils- und nicht erbberechtigt ist. Die Pflichtteilsstrafklausel aus den Berliner Testamenten der Eltern greife auch dann ein, wenn ein Träger der Sozialhilfe aus übergegangenem Recht und nicht das behinderte Kind selbst den Pflichtteil nach dem Tode des Erstversterbenden verlangt habe. Diesen Testamenten sei nicht zu entnehmen, dass die für den Schlusserbfall angeordnete Miterbenstellung der behinderten Tochter dem Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogen sein sollte. Zu Lebzeiten beider Eltern sei kein «Behindertentestament» errichtet worden. Die behinderte Tochter sei deswegen infolge des Pflichtteilsverlangens des Klägers beim Tode des Vaters wirksam enterbt worden. Hieran hätten die Regelungen des Folgetestaments aus dem Jahr 1998 nichts ändern können. Die Mutter sei nach dem Tod des Vaters an die entgegenstehenden Verfügungen aus den gemeinschaftlichen Testamenten gebunden gewesen und habe nicht mehr anderweitig verfügen können.
OLG Hamm, Urteil vom 28.02.2013 – I-10 U 71/12
(Quelle: Beck online)