Werden Dienstzeiten eines Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung aus vorangegangenen befristeten Arbeitsverhältnissen bei der anschließenden Einstellung als unbefristeter Beamter zur Stabilisierung des Arbeitsverhältnisses nicht anerkannt, verstößt dies gegen EU-Recht, sofern nicht sachliche Gründe den Ausschluss von der Anerkennung rechtfertigen. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 18.10.2012 auf Vorlage eines italienischen Gerichts entschieden. Die Befristung des Vertrags stelle dabei jedenfalls keinen sachlichen Grund dar.

Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren waren zunächst auf der Grundlage mehrerer aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge bei der italienischen Wettbewerbsbehörde (AGCM) beschäftigt. Sie wurden dann im Rahmen eines im italienischen Recht vorgesehenen besonderen Verfahrens zur Stabilisierung von Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Sektor unbefristet als Berufsbeamte eingestellt. Die tarifliche Einstufung erfolgt bei einer solchen Stabilisierung ohne Anerkennung des im Rahmen der befristeten Verträge erreichten Dienstalters. Die AGCM weigerte sich deshalb, die Dienstzeiten zu berücksichtigen, die die Klägerinnen zuvor bei ihr als befristet Beschäftigte zurückgelegt hatten.

Dagegen gingen die Klägerinnen gerichtlich vor. Das italienische Vorlagegericht, der Consiglio di Stato, rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und bat um Klärung, ob die Stabilisierungsregelung über die Nichtanerkennung der Dienstzeiten aus den befristeten Beschäftigungen bei der unbefristeten Einstellung als Berufsbeamter gegen die europäische Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge verstößt, die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung enthalten ist. Der EuGH stellt zunächst fest, dass sich die Klägerinnen auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung in § 4 der Rahmenvereinbarung berufen können. Dass sie mittlerweile Dauerbeschäftigte sind, stehe dem nicht entgegen, da anderenfalls der Schutz vor Diskriminierungen unangemessen eingeengt würde.

Anschließend geht der EuGH auf die Vergleichbarkeit der Sachverhalte ein. Dabei sei es grundsätzlich Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob sich die Klägerinnen in einer vergleichbaren Situation wie die unbefristet angestellten Berufsbeamten befanden, als sie ihre Aufgaben im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrags wahrnahmen. Auf unterschiedliche Sachverhalte könne jedenfalls nicht deshalb geschlossen werden, weil die Klägerinnen – im Unterschied zu den Berufsbeamten – nicht mit Erfolg an einem öffentlichen Auswahlverfahren für den Zugang zum öffentlichen Dienst teilgenommen haben. Denn die vom nationalen Gesetzgeber festgelegten Voraussetzungen dienten gerade dazu, die Stabilisierung allein der befristet beschäftigten Arbeitnehmer zu ermöglichen, deren Situation derjenigen der Berufsbeamten gleichgestellt werden könne. Für eine Vergleichbarkeit ihrer Situation mit derjenigen der Berufsbeamten spreche, dass – wie die italienische Regierung selbst erläutert habe – die nationale Regelung gerade dazu dienen solle, die beim Arbeitgeber erworbene Berufserfahrung zu valorisieren. Die Klärung obliege aber dem Vorlagegericht.

Sollten die bei der AGCM im Rahmen befristeter Arbeitsverträge wahrgenommenen Aufgaben denjenigen eines Berufsbeamten der einschlägigen Laufbahn entsprechen, wäre laut EuGH weiter zu prüfen, ob die Nichtberücksichtigung der im Rahmen befristeter Arbeitsverträge zurückgelegten Dienstzeiten durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Der bloße Umstand, dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer Dienstzeiten auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags zurückgelegt habe, stelle jedenfalls keinen solchen sachlichen Grund dar. Genügte die Befristung zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung, liefe dies auf die Fortschreibung einer für befristet beschäftigte Arbeitnehmer ungünstigen Situation hinaus. Dadurch würden die Ziele des EU-Rechts ihrer Substanz beraubt.

Hinsichtlich der von der italienischen Regierung geltend gemachten sachlichen Gründe räumt Der EuGH ein, dass die Mitgliedstaaten bei der Organisation ihrer öffentlichen Verwaltungen und dem Zugang zum öffentlichen Dienst über ein Ermessen verfügten. Laut EuGH können einige der vorgebrachten Unterschiede grundsätzlich eine unterschiedliche Behandlung in Bezug auf ihre Beschäftigungsbedingungen rechtfertigen. Das Ziel, eine umgekehrte Diskriminierung der nach erfolgreicher Absolvierung eines öffentlichen Auswahlverfahrens eingestellten Berufsbeamten zu vermeiden, könne einen sachlichen Grund darstellen. Allerdings sei die italienische Regelung unverhältnismäßig, da sie die Berücksichtigung sämtlicher im Rahmen befristeter Arbeitsverträge zurückgelegten Dienstzeiten bei der Bestimmung ihres Dienstalters anlässlich ihrer unbefristeten Einstellung und somit der Höhe ihres Gehalts vollständig ausschließe. Ein solcher vollständiger und absoluter Ausschluss beruhe auf der falschen Annahme, dass der unbefristete Charakter des Arbeitsverhältnisses bestimmter öffentlicher Bediensteter für sich genommen eine unterschiedliche Behandlung gegenüber den befristet eingestellten öffentlichen Bediensteten rechtfertige. Damit würden die Ziele der Richtlinie und der Rahmenvereinbarung ihrer Substanz beraubt. Ob sachliche Gründe im konkreten Fall vorliegen, müsse das vorlegende Gericht prüfen.

EuGH, Urteil vom 18.10.2012 – C-302/11, C-303/11; C-304/11; C-305/11

(Quelle: Beck online)