Eineiigen Zwillingen, die beide in der gesetzlichen Empfängniszeit mit der Kindesmutter verkehrt haben, ist im Rahmen eines Abstammungsverfahrens die Abgabe einer Spermaprobe nicht abzuverlangen. Denn nach dem heutigen Stand der Wissenschaft lasse sich so die Vaterschaft nicht eindeutig klären. Der mit der Probenabgabe verbundene Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung lasse sich daher nicht rechtfertigen. Dies hat jetzt das Oberlandesgericht Celle entschieden, aber die Revision zugelassen.
Sowohl der Beklagte als auch dessen Zwillingsbruder hatten in der gesetzlichen Empfängniszeit Geschlechtsverkehr mit der Kindesmutter. Während das Amtsgericht der Klage in erster Instanz noch stattgab, entschied das OLG auf die Berufung des Beklagten nunmehr, dass sich weder durch die Zeugenaussagen noch durch Abstammungsuntersuchungen mit dem für die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad die Abstammung des Klägers aufklären lasse.
Zum einem lasse sich die Vaterschaft des Beklagten nicht mit der gesetzlichen Vaterschaftsvermutung im Sinne des § 1600 d Abs. 2 S. 1 BGB begründen, wonach derjenige als Vater vermutet wird, der mit der Kindesmutter während der Empfängniszeit Sexualverkehr hatte. Diese gesetzliche Vermutung sei durch schwerwiegende Zweifel entkräftet. Denn aufgrund der Zeugenaussagen habe das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass die Kindesmutter während der gesetzlichen Empfängniszeit sowohl mit dem Beklagten als auch mit dessen Zwillingsbruder verkehrt hatte.
Zum anderen konnte laut OLG anhand der fünf Sachverständigengutachten festgestellt werden, dass beim jetzigen Stand der Wissenschaft kein erprobtes Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft bei eineiigen Zwillingen existiert. Lediglich rein in der Theorie diskutierte Vorgehen und nicht erprobte Verfahren könnten versuchen die genetischen Anlagen des Klägers einem der genetisch als identisch anzusehenden Zwillinge zuzuordnen. Die Erfolgsaussichten dieser nicht erprobten Verfahren seien von den Gutachtern insgesamt als gering eingeschätzt worden.
Aus diesen Gründen habe der Beklagte ebenso wie sein Zwillingsbruder die Abgabe einer Spermaprobe verweigern können. Ein darin liegender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei ihnen unzumutbar. Im Gegensatz zum «reinen» genetischen Fingerabdruck liessen sich durch die codierten Bestandteile der DNA erhebliche Rückschlüsse auf charakter- oder krankheitsbezogene Persönlichkeitsmerkmale ziehen. Dies hätten der Beklagte und dessen Zwillingsbruder auch nicht mit Rücksicht auf das Recht des Klägers auf Kenntnis seiner Abstammung zu dulden und hinzunehmen. Zumal die Analyse dieser Erbgutbestandteile im Wege eines Verfahrens mit experimentellem Charakter erfolgen würde, das gerade keine gesicherten und verifizierten Ergebnisse verspreche.
OLG Celle, Urteil vom 30.01.2013 – 15 UF 51/06
(Quelle: Beck online)