Befristete Arbeitsverträge dürfen auch dann wiederholt zum Zwecke der Vertretung verlängert werden, wenn ein wiederkehrender oder sogar ständiger Bedarf an Vertretungen besteht. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 26.01.2012 entschieden. Bei der Missbrauchskontrolle müssten aber alle Umstände des Einzelfalls einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Verträge berücksichtigt werden.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens arbeitete elf Jahre lang auf der Grundlage von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen beim Land Nordrhein-Westfalen als Justizangestellte in der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Köln. Alle diese Verträge wurden zur Vertretung unbefristet eingestellter Justizangestellter geschlossen, die sich vorübergehend hatten beurlauben lassen, so beispielsweise im Rahmen der Elternzeit. Vor dem Arbeitsgericht Köln klagte sie auf Feststellung des Fortbestands ihres Arbeitsverhältnisses. Ihr letzter Arbeitsvertrag müsse als auf unbestimmte Zeit geschlossen gelten, da kein sachlicher Grund vorliege, der seine Befristung rechtfertige. Bei insgesamt 13 unmittelbar aneinander anschließenden befristeten Arbeitsverträgen in einem Zeitraum von elf Jahren könne nämlich nicht mehr von einem vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften ausgegangen werden.
Das Bundesarbeitsgericht als Revisionsinstanz rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an (BeckRS 2010, 75736) und bat um Auslegung des § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner EGB, UNICE und CEEP über befristete Arbeitsverträge, die durch die Richtlinie 1999/70/EG durchgeführt wird. Die Rahmenvereinbarung betrachtet unbefristete Arbeitsverträge als die übliche Form der Beschäftigungsverhältnisse und verpflichtet die Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, um Missbräuche durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zu vermeiden. Dazu gehört insbesondere die Festlegung «sachlicher Gründe», welche die Verlängerung solcher Verträge rechtfertigen können. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz Nr. 3 TzBfG liegt ein solcher sachlicher Grund vor, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Darunter fällt zum Beispiel eine Vertretung aufgrund von Mutterschaftsurlaub oder Elternzeit. Das BAG wollte wissen, ob es gegen EU-Recht verstößt, eine Vertretung auch dann als sachlichen Grund anzunehmen, wenn ein ständiger Vertretungsbedarf gegeben ist, der auch durch die Einstellung eines Arbeitnehmers mit einem unbefristeten Vertrag gedeckt werden könnte.
Laut EuGH bildet die vorübergehende Vertretung eines anderen Arbeitnehmers grundsätzlich einen sachlichen Grund im Sinne des EU-Rechts, der sowohl befristete Verträge mit den Vertretungskräften als auch die Verlängerung der Verträge rechtfertigt. Aus dem bloßen Umstand, dass es für einen Arbeitgeber wie hier aufgrund der Zahl der Beschäftigten unvermeidlich ist, wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückzugreifen, und diese Vertretungen auch durch die Einstellung von Arbeitnehmern mit unbefristeten Arbeitsverträgen gedeckt werden könnten, folge weder das Fehlen eines solchen sachlichen Grundes noch das Vorliegen eines Missbrauchs. Automatisch den Abschluss unbefristeter Verträge zu verlangen, wenn die Größe des betroffenen Unternehmens oder der betroffenen Einrichtung und die Zusammensetzung des Personals darauf schließen ließen, dass der Arbeitgeber mit einem wiederholten oder ständigen Bedarf an Vertretungskräften konfrontiert sei, ginge nach Auffassung des EuGH über die Ziele der durch die Richtlinie umgesetzten Rahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner hinaus und würde den den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern eingeräumten Wertungsspielraum verletzen.
Der EuGH weist aber auch darauf hin, dass die nationalen Behörden bei der Beurteilung der Frage, ob die Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags im Einzelfall durch einen sachlichen Grund wie den vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften gerechtfertigt ist, alle Umstände dieses Einzelfalls einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Verträge berücksichtigen müssen.
EuGH, Urteil vom 26.01.2012 – C-586/10