Ein Wertpapier-Verkaufsprospekt muss auf einen Gewinnabführungsvertrag mit der Möglichkeit zur Erteilung nachteiliger Weisungen durch die beherrschende Konzernmuttergesellschaft an die beherrschte Konzerntochtergesellschaft hinweisen. Fehlt eine entsprechende Darstellung, kann ein Anleger Haftungsansprüche wegen Unvollständigkeit des Prospekts geltend machen. Dies hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 18.09.2012 entschieden.
Der Kläger begehrt Rückabwicklung des Erwerbs von Inhaberschuldverschreibungen einer mittlerweile insolventen Aktiengesellschaft. Die Wohnungsbau Leipzig-West AG (WBL) legte in den Jahren 1999 bis 2006 insgesamt 25 Inhaberschuldverschreibungen ohne Börsenzulassung mit einem rechnerischen Gesamtvolumen von 565 Millionen Euro auf. Dazu gehörte auch die mit dem Prospekt «Ausgewogene Konditionen» beworbene und vom Kläger im April 2005 in Höhe von 5.000 Euro gezeichnete Anleihe. Der Beklagte war unter der Firma J.S. Immobilienbeteiligungen e.K. zu 73% Mehrheitsaktionär der WBL und auf Grundlage eines Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrages herrschender Unternehmer. Aufgrund von Einzelweisungen des Beklagten erfolgten hohe Zahlungen von der WBL an ihn. Mit seiner Klage begehrt der Kläger im Wesentlichen Rückzahlung des Anlagebetrags nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In zweiter und dritter Instanz hatte die Klage dagegen Erfolg.
Der BGH hat das der Klage stattgebende Urteil des Berufungsgerichts bestätigt und die dagegen gerichtete Revision des Beklagten zurückgewiesen. Der Prospekt «Ausgewogene Konditionen» sei unvollständig im Sinne von § 13 Abs. 1 VerkProspG a.F., weil aus ihm nicht ersichtlich sei, dass der Beklagte als Begünstigter des Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrags dem Vorstand der WBL nachteilige Weisungen erteilen konnte, die nur dem Beklagten oder anderen Konzerngesellschaften dienten. Zu den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die für die Beurteilung der angebotenen Wertpapiere notwendig und daher richtig und vollständig in einem Wertpapier-Verkaufsprospekt darzustellen seien, gehöre auch die Möglichkeit der Erteilung derartiger nachteiliger Weisungen durch eine beherrschende Konzernmuttergesellschaft an eine beherrschte Konzerntochtergesellschaft und die damit verbundene – erhöhte – Gefahr für die Rückzahlung der an die Konzerntochtergesellschaft gezahlten Anlegergelder. Wende sich der Emittent – wie hier – ausdrücklich auch an das unkundige und börsenunerfahrene Publikum, so bestimme sich der Empfängerhorizont für Prospekterklärungen nach den Fähigkeiten und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen (Klein-)Anlegers, der sich allein anhand der Prospektangaben über die Kapitalanlage informiere und über keinerlei Spezialkenntnisse verfüge.
Nach diesen Maßstäben wäre selbst bei sorgfältiger und eingehender Lektüre des Prospekts nicht zu erkennen gewesen, dass der Beklagte aufgrund seines Weisungsrechts der WBL unabhängig von deren Ertragslage zu seinem Vorteil und zu ihrem Nachteil Kapital entziehen konnte. Der Beklagte sei für den fehlerhaften Prospekt auch verantwortlich. Prospektveranlasser gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG in der vom 01.07.2002 bis zum 31.10.2007 geltenden Fassung seien Personen, die ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Emission der Wertpapiere haben und darauf hinwirken, dass ein unrichtiger oder unvollständiger Prospekt veröffentlicht wird. Durch diese Regelung soll laut BGH eine Lücke bei den Haftungsverpflichteten geschlossen und insbesondere auch Konzernmuttergesellschaften in die Haftung einbezogen werden, wenn eine Konzerntochtergesellschaft Wertpapiere emittiert.
Der Beklagte hätte als Mehrheitsgesellschafter der WBL und unmittelbar Begünstigter des Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrages einerseits ein erhebliches wirtschaftliches Eigeninteresse an der Einwerbung weiterer Anlegergelder durch die Ausgabe der Inhaberschuldverschreibungen gehabt und andererseits nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts durch Erteilung von Weisungen zu Zahlungsflüssen tatsächlich in das Geschäft der Emittentin eingegriffen. Rechtsfehlerfrei habe das Berufungsgericht aus diesen Umständen geschlussfolgert, dass der Beklagte einen beherrschenden Einfluss auf die streitgegenständliche Emission ausübte und Kenntnis vom Inverkehrbringen des Prospekts hatte. In den Instanzen sind nach Angaben des BGH zahlreiche gleich gelagerte Fälle anhängig. Die Entscheidung sei für diese richtungsweisend.
BGH, Urteil vom 18.09.2012 – XI ZR 344/11
(Quelle: Beck online)