Allein der Umstand, dass der Versicherungsnehmer seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit arglistig verletzt hat, hebt nach Ansicht des Bundesgerichtshofes sein Schutzbedürfnis an der Geheimhaltung seiner Gesundheitsdaten nicht auf. Die arglistige Täuschung fließe jedoch in eine umfassende Abwägung der Parteiinteressen ein, hier einerseits das Interesse der Klägerin, die Beklagte an der Verwendung rechtswidrig erlangten Wissens zu hindern, und andererseits das Interesse des Versicherers, sich von dem mittels arglistiger Täuschung zustande gekommenen Vertrag zu lösen.

Die Klägerin fordert als Bezugsberechtigte einer von ihrem Ehemann bei der Beklagten im November 2001 abgeschlossenen Risikolebensversicherung die Todesfallleistung in Höhe von 51.000 EUR. Der am 16.06.2006 tödlich verunglückte Versicherungsnehmer hatte bei Antragstellung im November 2001 die jeweils auf die letzten zehn Jahre vor Antragstellung zielenden Gesundheitsfragen falsch beantwortet, weil er einen im April 2001 verübten Suizidversuch mit anschließender, elftägiger stationärer Behandlung und entsprechender Arbeitsunfähigkeit verschwiegen hatte. Er hatte bei Antragstellung nachfolgende «Schlusserklärung des Antragstellers und der zu versichernden Person» unterzeichnet: «[…] Ich ermächtige [die Beklagte] zur Nachprüfung und Verwertung der von mir über meine Gesundheitsverhältnisse gemachten Angaben alle Ärzte, Krankenhäuser und sonstigen Krankenanstalten sowie Pflegeeinrichtungen, bei denen ich in Behandlung oder Pflege war oder sein werde, […] über meine Gesundheitsverhältnisse bei Vertragsabschluss zu befragen. Dies gilt für die Zeit vor der Antragsannahme und die nächsten drei Jahre […] nach der Antragsannahme. Die [Beklagte] darf auch die Ärzte, die die Todesursachen feststellen, die Ärzte die mich im letzten Jahr vor meinem Tode untersuchen oder behandeln werden, sowie Behörden – mit Ausnahme von Sozialversicherungsträgern – über die Todesursachen oder die Krankheiten, die zum Tode geführt haben, befragen. […] Insoweit entbinde ich alle, die hiernach befragt werden, von der Schweigepflicht auch über meinen Tod hinaus.»

Der tödliche Unfall des Versicherungsnehmers steht unstreitig nicht im Zusammenhang mit den Störungen, die seinen Selbstmordversuch ausgelöst hatten. Von letzteren erfuhr die Beklagte erstmals aus den vom Hausarzt des Verstorbenen übersandten Unterlagen. Mit Schreiben vom 19.10.2006 erklärte sie die Anfechtung ihrer Vertragsannahme wegen arglistiger Täuschung. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen, mit der die Klägerin ihr Begehren weiter verfol Nach Auffassung des BGH ergibt sich aus der vom Versicherungsnehmer unterzeichneten Schlusserklärung keine Befugnis des Versicherers, noch nach Ablauf der Ende 2001 in Lauf gesetzten Dreijahresfrist Ärzte zu nicht todesursächlichen Erkrankungen des Versicherungsnehmers aus der Zeit bei Vertragsschluss (01.11.2003) zu befragen. Spätere Befragungen dürften nur noch auf todesursächliche Erkrankungen zielen. Da der Hausarzt des Versicherungsnehmers erst nach dessen Tod im Jahr 2006 befragt worden sei, sei die Erlangung von Erkenntnissen über den Selbstmordversuch nicht mehr von der Schlusserklärung gedeckt. Die Frage, ob die Schlusserklärung für sich genommen nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist, lässt der BGH offen.

Gleichzeitig zu dieser Feststellung betont der BGH jedoch, dass nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten automatisch zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung führt. Der Senat unternimmt eine Abwägung der Parteiinteressen und kommt zu dem Ergebnis, dass das Interesse der Klägerin, die Beklagte an der Verwendung rechtswidrig erlangten Wissens zu hindern, hinter deren Interesse zurückstehen muss, sich von dem mittels arglistiger Täuschung zustande gekommenen Vertrag zu lösen. Durch das Verschweigen des Suizidversuchs und der damit verbundenen stationären Behandlung und Arbeitsunfähigkeit habe der Versicherungsnehmer das Interesse des Versicherers an einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung erheblich verletzt. Weiter könne aus der Schlusserklärung kein bindender Verzicht der Beklagten auf weitere Ermittlungen zu Vorerkrankungen des Versicherungsnehmers entnommen werden. Die Beklagte habe infolge des von ihr im Versicherungsvertrag übernommenen Risikos ein anerkennenswertes Interesse daran, risikorelevante Vorerkrankungen offengelegt zu bekommen, so der BGH. Obwohl die Beklagte nach dem Tod des Versicherungsnehmers keine Möglichkeit mehr hatte, weitergehende Schweigepflichtentbindungen zu erlangen, hätte sie jedenfalls zu Lebzeiten des Versicherungsnehmers das Wissen um den Suizidversuch mittels einer weiteren Ermittlungsermächtigung und Schweigepflichtentbindung noch rechtmäßig erlangen können. Mithin beschränkt sich der Rechtsverstoß der Beklagten nach Auffassung des BGH darauf, ihr Wissen formell fehlerhaft erworben zu haben.

Praxishinweis:

Der BGH sieht nicht in jeder unwirksamen Schweigepflichtentbindung ein allgemeines Verwertungsverbot für die so erlangten Informationen, dies insbesondere bei Informationen, an denen der Versicherer ein berechtigtes Interesse hat. Bei schwerwiegenden Erkrankungen habe der Versicherer ein berechtigtes Interesse an der umfassenden Aufklärung der Krankheit. In solchen Fällen sei davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmer eine entsprechende Entbindungserklärung hätte abgeben müssen. Bei widerstreitenden Interessen sei eine Gesamtabwägung zwischen dem Verwertungsinteresse des Klägers und dem Geheimhaltungsinteresse des Versicherungsnehmers vorzunehmen, so der BGH auch in seinem Urteil vom 28.10.2009 – IV ZR 140/08, NJW 2010, 289.

 BGH, Beschluss vom 21.09.2011 – IV ZR 203/09