Die Allgemeine Geschäftsbedingung einer Bank, einen Erbschein unabhängig davon verlangen zu dürfen, ob im konkreten Einzelfall das Erbrecht überhaupt zweifelhaft ist oder auch anders als durch Vorlage eines Erbscheins nachgewiesen werden könnte, stellt eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 II Nr. 1 BGB dar und ist unwirksam. Wenn die Bank nach dem Inhalt der Klausel die Vorlage eines Erbscheins selbst dann beanspruchen kann, wenn ein Konto nur ein geringes Guthaben aufweist, so kann die Forderung nach der Vorlage eines Erbscheins möglicherweise rechtsmissbräuchlich sein.
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit folgender Klauseln, die die beklagte Sparkasse unter Nr. 5 (1) ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendet:
„[Satz 1] Nach dem Tode des Kunden kann die Sparkasse zur Klärung der rechtsgeschäftlichen Berechtigung die Vorlegung eines Erbscheins, eines Testamentsvollstreckerzeugnisses oder ähnlicher gerichtlicher Zeugnisse verlangen; fremdsprachige Urkunden sind auf Verlangen mit deutscher Übersetzung vorzulegen.
[Satz 2] Die Sparkasse kann auf die Vorlegung eines Erbscheins oder eines Testamentsvollstreckerzeugnisses verzichten, wenn ihr eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift vom Testament oder Erbvertrag des Kunden sowie die Niederschrift über die zugehörige Eröffnungsverhandlung vorgelegt wird.“
Der Kläger, der in die Liste qualifizierter Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG eingetragen ist, hat die Beklagte erfolglos abgemahnt, die weitere Verwendung der streitgegenständlichen Klauseln zu unterlassen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Mit seiner Unterlassungsklage begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen, diese oder inhaltsgleiche Klauseln gegenüber Verbrauchern zu verwenden. Darüber hinaus verlangt er die Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von insgesamt 214 EUR nebst Zinsen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Während die mit der Unterlassungsklage angegriffene Klausel in den Bankbedingungen eine generelle Pflicht zur Vorlage eines Erbscheins als Erbnachweis statuiert, kennt das deutsche Recht keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass ein Erbe sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen hat. Der BGH hat bereits mehrfach entschieden, dass der Erbe sein Erbrecht auch in anderer Weise nachweisen kann (Urteil vom 10.12.2004 – V ZR 120/04, NJW-RR 2005, 599, 600; Urteil vom 07.06.2005 – XI ZR 311/04, NJW 2005, 2779, 2780). Eine grundsätzliche Pflicht des Erben zur Vorlage des Erbscheins – so der Senat des OLG Hamm – sei nicht gewollt, weil sie in vielen Fällen zu einer „unerträglichen Belästigung des Erben, zu unnützen Kosten und zur Verzögerung der Nachlassregulierung führen würde“. §§ 2366, 2367 BGB führten zu keinem anderen Ergebnis. Diese Vorschriften regelten nicht, wie der Nachweis des Erbrechts geführt werden kann, sondern unter welchen Voraussetzungen mit befreiender Wirkung an die im Erbschein als Erbe bezeichnete Person geleistet werden kann.
Mit diesem gesetzlichen Prinzip der Nachweisfreiheit des Erbrechts ist Nr. 5 (1) Satz 1 der AGB der Beklagten nach Auffassung des Senats nicht vereinbar. Nach dem Wortlaut der Klausel könne die Beklagte abweichend von der aufgezeigten Gesetzeslage die Vorlage eines Erbscheins zum Nachweis des Erbrechts unabhängig davon beanspruchen, ob im konkreten Einzelfall das Erbrecht auch auf andere Art nachgewiesen werden könnte. Eine Beschränkung auf bestimmte Fälle und/oder bestimmte Voraussetzungen enthalte der Wortlaut der Klausel nicht. Entgegen der Ansicht der Beklagten verstehe ein durchschnittlicher Bankkunde die Regelung so wie aufgezeigt. Deshalb müsse die Bank sich diese Auslegung auch zurechnen lassen. An diesem Verständnis der Klausel ändere auch die Zusammenschau mit Nr. 5 (1) Satz 2 der AGB der Beklagten nichts. Auch das Absehen von der Vorlage eines Erbscheins sei nicht an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen geknüpft.
Die unangemessene Benachteiligung des Bankkunden sei gemäß § 307 II Nr. 1 BGB indiziert, weil die Klausel mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung unvereinbar sei. Die Beklagte könne ohne Rücksicht auf die konkreten Umstände die Vorlage eines Erbscheins verlangen. Ebenso könne die Beklagte nach dem Inhalt der Klausel die Vorlage eines Erbscheins selbst dann beanspruchen, wenn ein Konto nur ein geringes Guthaben aufweist und die Forderung nach der Vorlage eines Erbscheins daher möglicherweise als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre.
Die Beklagte könne sich zur Rechtfertigung nicht auf §§ 2366, 2367 BGB berufen. Der Senat verkennt nicht, dass für die Beklagte ein hohes Interesse daran besteht, nicht an einen Nichtberechtigten leisten zu müssen. Diesem Interesse sei aber nicht durch das in den AGB der Beklagten statuierte uneingeschränkte Wahlrecht Rechnung zu tragen, sondern durch eine differenzierte Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls oder zumindest einzelner typischer Fallgruppen. Dadurch werde die Beklagte schon deshalb nicht über Gebühr belastet, weil sie sich ohnehin nach Maßgabe des jeweiligen konkreten Sachverhalts mit der Frage befassen müsse, ob die Forderung nach Vorlage eines Erbscheins oder der Verzicht darauf Haftungsfolgen für sie auslöst.
In Kenntnis dieser Problematik habe der Gesetzgeber davon abgesehen, dem Erben grundsätzlich den Nachweis seines Erbrechts mittels Erbscheins aufzugeben. Auch aus § 35 I 1 GBO lasse sich nichts anderes herleiten. Zum einen handele es sich dabei um eine nicht verallgemeinerungsfähige Sonderregelung. Zum anderen bedürfe es auch nach § 35 I GBO zum Nachweis des Erbrechts nicht in jedem Fall der Vorlage eines Erbscheins. Beruhe die Erbfolge auf einer Verfügung von Todes wegen, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten ist, genüge grundsätzlich zum Nachweis der Erbfolge die Niederschrift über die Eröffnung der Verfügung. Einen Erbschein dürfe das Grundbuchamt nur dann fordern, wenn sich bei der Prüfung der Verfügung von Todes wegen hinsichtlich des behaupteten Erbrechts Zweifel tatsächlicher Art ergäben, die nur durch weitere Ermittlungen über den Willen des Erblassers oder über die tatsächlichen Verhältnisse geklärt werden können, denn zu solchen Ermittlungen ist das Grundbuchamt nicht befugt (BayObLG, ZEV 2000, 233, 234).
Es stehe – so der Senat weiter – außer Frage, dass die Beklagte jedenfalls bei Vorliegen konkreter Zweifel an dem behaupteten Erbrecht Leistungen von der Vorlage eines Erbscheins bzw. Testamentsvollstreckerzeugnisses abhängig machen könne. Den AGB der Beklagten lasse sich eine solche Einschränkung auf Zweifelsfälle nach dem maßgeblichen Verständnis eines Durchschnittskunden allerdings nicht entnehmen. Sie enthielten auch keine dem § 35 III GBO vergleichbare Einschränkung.
Auch Nr. 5 (1) Satz 2 der AGB der Beklagten enthalte von Rechtsvorschriften abweichende Regelungen (§ 307 III 1 BGB), denn danach entscheide allein die Beklagte darüber, ob sie unter den in der Klausel aufgeführten Voraussetzungen auf die Vorlage eines Erbscheins oder Testamentsvollstreckerzeugnisses verzichtet und das Erbrecht als nachgewiesen erachtet. Ebenso wie Nr. 5 (1) Satz 1 der AGB konkretisiere auch Nr. 5 (1) Satz 2 der AGB nicht, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte auf die Vorlage eines Erbscheins bzw. Testamentsvollstreckerzeugnisses verzichten könne. Nach dem maßgeblichen Verständnis eines Durchschnittskunden sei die Beklagte völlig frei darin, ob sie bei Vorliegen der Voraussetzungen von Nr. 5 (1) Satz 2 ihrer AGB auf die Vorlage des Erbscheins verzichtet oder nicht. Wenn aber selbst in dem besonders sensiblen Bereich der Grundbucheintragungen der Nachweis regelmäßig durch Vorlage des Eröffnungsprotokolls mit einer eindeutigen Verfügung von Todes wegen geführt werden könne, seien keine anerkennenswerten Interessen der Beklagten ersichtlich, auch bei Vorliegen der in § 35 I 2 1. Hs. GBO aufgeführten Voraussetzungen Kosten verursachend die Vorlage eines Erbscheins verlangen zu können. An einer solchen Vorgehensweise hätten weder der Erblasser noch der wahre Erbe ein Interesse, sondern wiederum allenfalls die Beklagte selbst, die nach Vorlage des Erbscheins die Regelungen der §§ 2366, 2367 BGB für sich in Anspruch nehmen könne.
Das OLG Hamm geht mit dieser Entscheidung einen Schritt weiter und verwirft unter Hinweis auf die Unklarheiten- und Auslegungsregeln des Rechts über Allgemeine Geschäftsbedingungen jede geltungserhaltende Auslegung der Klausel über den Erbnachweis unter Nr. 5 der Bankbedingungen. Auch wenn ich an anderer Stelle selbst die geltungserhaltende Interpretation dieser Klausel befürwortet habe (BeckOKBGB, Stand: 01.08.2012, § 2232 Rn. 24), so halte ich die Argumente des OLG Hamm für gut vertretbar. Vor allem der Hinweis auf den Verständnishorizont des Bankkunden überzeugt. Tatsächlich zeigt die Beratungspraxis, dass viele Erben im Hinblick auf diese Bankbedingung vor den Banken kapitulieren und einen Erbschein beantragen, obwohl ein öffentliches Testament mit einer eindeutigen Erbeinsetzung vorliegt. Es gibt sogar Banken, die ausnahmslos in allen Fällen die Vorlage eines Erbscheins verlangen. Nicht zuletzt wegen dieses offenkundigen Ermessensmissbrauchs einiger Banken und Sparkassen ist eine Grundsatzentscheidung dieser Frage längst überfällig.Die Revision zum BGH wurde zugelassen.
OLG Hamm, Urteil vom 01.10.2012 – I-31 U 55/12
(Quelle:beck-fachdienst Erbrecht – FD-ErbR 2012, 339358)