Das Oberlandesgericht Hamm hat in zwei Fällen, in denen es beim Überholen einer Fahrzeugkolonne zu einer Kollision mit dem ersten, nach links in ein Grundstück abbiegenden Fahrzeug der Kolonne beziehungsweise mit einem «Lückenabbieger» aus einer wartepflichtigen Querstraße kam, rechtskräftig auf eine Mithaftung des Überholers in Höhe von 2/3 wegen Überholens bei unklarer Verkehrslage beziehungsweise 1/3 wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebots gegenüber dem «Lückenabbieger» erkannt.
Der Kläger überholte mit seinem Mokick eine aus drei Fahrzeugen bestehende Kolonne und kollidierte mit dem nach links in eine Grundstückszufahrt einbiegenden ersten Fahrzeug der Kolonne. Das OLG kam hier zu einer Haftungsquote von 75% für den Kläger und von 25% für die Beklagte. Denn den Kläger treffe ein erhebliches Verschulden, weil er verbotswidrig bei einer für ihn unklaren Verkehrslage überholt habe. Bei der beklagten Linksabbiegerin sei dagegen nur die Betriebsgefahr zu berücksichtigen gewesen, da ein Verschulden nicht festgestellt werden konnte.
Der Beklagte überholte mit seinem Motorrad eine aus mehreren Fahrzeugen bestehende Kolonne und kollidierte mit einem unvorsichtig unter Ausnutzung einer Kolonnenlücke aus einer wartepflichtigen Querstraße nach links abbiegenden Pkw. Das OLG erkannte hier auf eine Haftungsquote des Beklagten von 1/3, weil er das allgemeine Rücksichtnahmegebot verletzt habe. Wer bei dichtem Verkehr an einer zum Stehen gekommenen Fahrzeugkolonne vorbeifahre, müsse bei erkennbaren Verkehrslücken in Höhe von Kreuzungen und Einmündungen trotz seiner Vorfahrt seine Fahrweise so einrichten, dass er auch vor unvorsichtig aus der Lücke herausfahrenden Fahrzeugen rechtzeitig anhalten könne. Er müsse es den Verkehrsteilnehmern im Querverkehr ermöglichen, aus der freigehaltenen Lücke heraus bis zur Erlangung freier Sicht auf den nicht besetzten Straßenraum herauszufahren.
OLG Hamm, Urteil vom 09.07.2013 – 9 U 191/12
(Quelle: Beck online)