Ein Sozialplan darf eine geminderte Entlassungsabfindung für Arbeitnehmer vorsehen, die kurz vor dem Renteneintritt stehen. Dies hat Europäische Gerichtshof entschieden. Allerdings stelle es eine nach dem Unionsrecht verbotene Diskriminierung dar, wenn bei der Berechnung dieser Minderung die Möglichkeit einer vorzeitigen Altersrente wegen einer Behinderung berücksichtigt wird.
Ein zwischen dem deutschen Unternehmen Baxter und dessen Betriebsrat geschlossener Sozialplan sieht vor, dass der Abfindungsbetrag für Arbeitnehmer bei betriebsbedingter Kündigung insbesondere von der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit abhängt (Standardberechnungsmethode). Für Arbeitnehmer, die älter als 54 Jahre sind, sieht der Plan jedoch vor, dass die Abfindung auf der Grundlage ihres frühestmöglichen Rentenbeginns berechnet wird (alternative Methode). Die diesen Arbeitnehmern zu zahlende Abfindung ist geringer als die Summe, die sich nach der Standardmethode ergeben würde. Sie muss allerdings mindestens die Hälfte dieser Summe betragen.
Johann Odar, der mehr als 30 Jahre bei Baxter beschäftigt war, ist als Schwerbehinderter anerkannt. Nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit dem Unternehmen erhielt er aufgrund des Sozialplans eine Entlassungsabfindung. Da er über 54 Jahre alt war, erhielt er einen geringeren als den Betrag, auf den er bei niedrigerem Alter Anspruch gehabt hätte. Die im Sozialplan vorgesehene Berechnungsmethode bei betriebsbedingter Kündigung stellt somit eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung dar. Wenn der Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, eine vorzeitige Altersrente wegen einer Behinderung zu erhalten, sieht der Sozialplan darüber hinaus vor, dass bei der Berechnung nach der alternativen Methode auf diesen Zeitpunkt abgestellt wird. Nach Klage Odars hat das Arbeitsgericht München beschlossen, den Gerichtshof zu befragen.
Laut EuGH steht das im Unionsrecht vorgesehene Verbot jeder Diskriminierung wegen des Alters (Richtlinie 2000/78/EG) der hier vorgenommenen Regelung zur Berechnung der Entlassungsabfindung anhand des Alters nicht entgegen. Eine solche Ungleichbehandlung könne durch das Ziel gerechtfertigt werden, einen Ausgleich für die Zukunft zu gewähren und die jüngeren Arbeitnehmer zu schützen sowie ihre berufliche Wiedereingliederung zu unterstützen. Sie trage zugleich der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel eines Sozialplans Rechnung. Darüber hinaus sei es legitim zu vermeiden, dass eine Entlassungsabfindung Personen zugutekommt, die keine neue Stelle suchen, sondern ein Ersatzeinkommen in Form einer Altersrente beziehen wollen. Eine Regelung wie die hier vorliegende erscheine nicht offensichtlich unangemessen und gehe nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinaus. Der Gerichtshof führt zudem aus, dass die in Rede stehende Regelung die Frucht einer von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern ausgehandelten Vereinbarung ist, die dabei ihr als Grundrecht anerkanntes Recht auf Kollektivverhandlungen ausgeübt haben.
Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass das im Unionsrecht vorgesehene Verbot jeder Diskriminierung wegen einer Behinderung der Regelung entgegensteht, soweit bei der Anwendung der alternativen Methode auf die Möglichkeit abgestellt wird, eine vorzeitige Altersrente wegen einer Behinderung zu erhalten. Durch diese Ungleichbehandlung nichtbehinderter und behinderter Arbeitnehmer werde nämlich sowohl das Risiko für Schwerbehinderte – die im Allgemeinen größere Schwierigkeiten als nichtbehinderte Arbeitnehmer haben, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern – als auch die Tatsache verkannt, dass das Risiko steigt, je mehr sie sich dem Renteneintrittsalter nähern. Schwerbehinderte hätten jedoch spezifische Bedürfnisse im Zusammenhang mit dem Schutz, den ihr Zustand erfordert, und mit der Notwendigkeit, dessen mögliche Verschlechterung zu berücksichtigen. Die in Rede stehende Regelung bewirke folglich eine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen schwerbehinderter Arbeitnehmer. Sie Regelung gehe über das hinaus, was zur Erreichung der mit ihr verfolgten sozialpolitischen Ziele erforderlich ist.
EuGH, Urteil vom 06.12.2012 – C-152/11
(Quelle Beck online)