Der Bun­des­ge­richts­hof hat in einem ers­ten Grund­satz­ur­teil Volks­wa­gen dazu ver­ur­teilt, dem Käu­fer eines Fahr­zeugs mit il­le­ga­ler Ab­schalt­ein­rich­tung den Kauf­preis gegen Rück­ga­be des Pkw zu er­stat­ten. Der VW-Kunde muss sich aber die ge­fah­re­nen Ki­lo­me­ter als Nut­zungs­vor­teil an­rech­nen las­sen.

Das Urteil ist ein Meilenstein in der juristischen Aufarbeitung des Dieselskandals. Es betrifft zwar nur eine von unzähligen verschiedenen Konstellationen. Aber es ist jetzt die lang ersehnte höchstrichterliche Richtschnur zu ganz zentralen Fragen des Komplexes: Gibt es überhaupt Schadensersatz für Fahrzeuge mit illegaler Abgastechnik?  Und müssen sich die Kunden die gefahrenen Kilometer als Nutzungsentschädigung anrechnen lassen? Beides hat der BGH nun bejaht.

Vorsätzlich sittenwidrige Schädigung

Mit seinem Urteil hat der unter anderem für das Deliktsrecht zuständige VI. Zivilsenat das Urteil des OLG Koblenz aus der Vorinstanz im Wesentlichen bestätigt. Wie ihre Kollegen in Rheinland-Pfalz gehen die BGH-Richter von einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung durch VW aus. Der Einbau der illegalen Abschalteinrichtung sei eine grundlegende, strategische und unternehmerische Entscheidung des Konzerns gewesen, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters in der von Phoenix live übertragenen Urteilsverkündung. Volkswagen habe im eigenen Kosten- und Gewinninteresse systematisch und langwierig Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungs-Software zur bewussten Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts programmiert worden war. „Ein solches Verhalten ist mit den grundlegenden Werten der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren“, betonte Seiters. Sein Senat geht im Rahmen der Zurechnung davon aus, dass die unzulässige Praxis jedenfalls mit Kenntnis sowohl des vormaligen Leiters der Entwicklungsabteilung als auch der zuständigen damaligen Vorstände getroffen und umgesetzt wurde.

Schaden trotz Software-Update

Der Schaden des Käufers liegt aus Sicht des BGH schon im Kaufvertragsschluss, mit dem er eine ungewollte Verpflichtung eingehe. Er habe ein Fahrzeug erhalten, das für seine Zwecke nicht voll brauchbar war. Der Schaden werde durch ein später durchgeführtes Software-Update auch nicht nachträglich beseitigt, so der VI. Zivilsenat. Unmaßgeblich sei dabei auch, ob es sich um den Kauf eines Neu- oder Gebrauchtwagens handele. Der Kläger, ein VW-Kunde aus Rheinland-Pfalz, der 2014 – also mehr als ein Jahr vor dem Skandal – bei einem freien Händler einen gebrauchten VW Sharan 2.0 TDI match für 31.490 Euro brutto gekauft hatte, bekommt nun den überwiegendenTeil des Kaufpreises gegen Rückgabe seines VW erstattet. Nach der vom BGH nicht beanstandeten Berechnung des OLG Koblenz sind es 25.616,10 Euro zuzüglich Zinsen.

Nutzungsvorteil ist anzurechnen

Den vollen Kaufpreis erhält er nicht, denn wie schon das OLG Koblenz ist auch der BGH der Meinung, dass sich der Käufer die gefahrenen Kilometer als Nutzungsvorteil auf den Schadensersatzanspruch anrechnen lassen muss. Dies sei auch im Fall einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung nicht unbillig. Das Deliktsrecht wirke zwar auch präventiv, dies dürfe aber im Ergebnis nicht zu einem Ausschluss der Nutzungsentschädigung führen. Ansonsten liefe der Anspruch der Diesel-Käufer auf einen dem deutschen Recht fremden Strafschadensersatz hinaus, so der Vorsitzende Richter in der Urteilsverkündung.

Signalwirkung für andere Verfahren

Das Urteil hat Signalwirkung für viele der noch anhängigen etwa 60.000 Diesel-Klagen. Der BGH wird sich schon in Kürze mit weiteren Fällen befassen. Die nächsten Verhandlungen sind im Juli angesetzt. Keine Auswirkungen hat die Entscheidung hingegen auf den im Rahmen der Musterfeststellungsklage zwischen dem Verbraucherzentrale Bundesverband und VW ausgehandelten Vergleich. Nach Angaben des Autobauers wurden inzwischen rund 240.000 Vergleiche abgeschlossen, etwa 1.000 davon wurden widerrufen. Im Rahmen dieser Vereinbarung sollen die Kunden von Volkswagen je nach Alter und Modell zwischen 1.350 und 6.257 Euro erhalten, das entspricht rund 15% des Kaufpreises. Anders als der Kläger im jetzt vom BGH entschiedenen Fall können sie ihre Fahrzeuge behalten.

Neue Klagewelle wegen zwischenzeitlicher Verjährung nicht zu erwarten

Wer bisher noch nicht geklagt hat und sich auch nicht zur Musterfeststellungsklage angemeldet hat, dürfte trotz der kundenfreundlichen Urteils des BGH schlechte Karten haben. Die Ansprüche sind vermutlich inzwischen verjährt. Zwar ist auch diese Frage im Einzelnen umstritten, nach überwiegender Einschätzung wird insoweit aber von Verjährung ausgegangen.

Reaktion VW

Volkswagen hat nach dem Urteil angekündigt, viele der klagenden Kunden zu entschädigen. Man werde Einmalzahlungen als „pragmatische und einfache Lösung“ anbieten, erklärte der Konzern. „Wie hoch diese sein werden, hängt vom Einzelfall ab.“ Der Autobauer will weitere Verfahren „im Einvernehmen mit den Klägern zeitnah beenden“ und mit entsprechenden Vorschlägen auf diese zugehen, wie es hieß. Der Konzern begründete die angekündigten Angebote damit, dass viele Kunden im Fall eines Urteils nach Maßgabe der BGH-Entscheidung ihren Dieselwagen auch zurückgeben müssten. Viele wollten sich jedoch, so VW, kein neues Auto anschaffen. „Einmalzahlungen halten wir deshalb für die beste Lösung, um Verfahren nicht unnötig in die Länge zu ziehen.“

Fälle späten Kaufs will VW weiter ausfechten

Es gebe zudem auch rund 10.000 Fälle, in denen Kunden ein Dieselauto aus dem VW-Konzern erst nach dem September 2015 kauften, als die Abgasaffäre öffentlich wurde. „Wir sind davon überzeugt, dass Kläger keine Ansprüche haben, wenn sie beim Kauf von der Umschaltlogik (in der Abgas-Software) wissen mussten, und dass Klägern keine Deliktzinsen zustehen. Insoweit werden wir in den anhängigen Verfahren unsere Position entsprechend verteidigen.“

BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19

(Quelle: Beck online)