Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes ist eine Leistungsreduzierung «auf Null» bei grob fahrlässiger Verletzung von vertraglichen Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer gemäß § 28 VVG ebenso wie bei der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls gemäß § 81 Abs. 2 VVG grundsätzlich zulässig. Ferner seien auch die aufgewandten Sachverständigenkosten in diesem Falle zu ersetzen.
Der Beklagte fuhr am 12.04.2009 gegen 17.15 Uhr mit seinem PKW, ohne am Ende der von ihm befahrenen Straße nach rechts oder nach links abzubiegen, geradeaus und durchbrach die Grundstücksmauer des dort liegenden Anwesens. Eine ihm um 18.27 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine mittlere BAK von 2,10 Promille.
Der klagende Kfz-Haftpflichtversicherer nimmt seinen Versicherungsnehmer in Regress, nachdem er den Schaden zunächst reguliert hatte.
Dem Versicherungsverhältnis liegen die AKB 2008 zugrunde. Gemäß D.2.1 AKB 2008 darf das Fahrzeug nicht gefahren werden, wenn der Fahrer durch den Genuss alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Unter D.3.1 AKB 2008 ist geregelt: «Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in D.1 und D.2 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. Verletzen Sie Ihre Pflichten grob fahrlässig, sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen.»
Die Klägerin verlangt Erstattung des von ihr ersetzen Gesamtschadens in Höhe von 4.657,17 EUR. In diesem Betrag sind 702,04 EUR Kosten des vom Grundstückseigentümer beauftragten Gutachters enthalten, der den entstandenen Sachschadens mit 3.479 EUR beziffert hat. Das Berufungsgericht hat eine Regresspflicht des Beklagten in voller Höhe angenommen. Es hat in seinem Verhalten derart schwerwiegenden Obliegenheitsverstoß gesehen, dass ausnahmsweise eine Leistungskürzung auf null gerechtfertigt sei. Zu ersetzen seien auch die dem Geschädigten entstandenen Sachverständigenkosten.
Das Urteil des Berufungsgerichts hält nach Ansicht des BGH rechtlicher Nachprüfung stand. Für § 81 Abs. 2 VVG sei die Frage der Möglichkeit einer Leistungskürzung auf null in Ausnahmefällen durch Senatsurteil vom 22.07.2011 (Az.: IV ZR 225/10, BeckRS 2011, 19286 mit Entscheidungsbesprechung von Grams in FD-VersR 2011, 321275) geklärt. Dort hat der BGH entschieden, dass die in § 81 Abs. 2 VVG geregelte Rechtsfolge einer vollständigen Versagung der Leistung in Ausnahmefällen nicht entgegen steht. Auch der mit der Abschaffung des Alles-oder-Nichts-Prinzips verfolgte Gesetzeszweck führe nicht zur Unzulässigkeit der vollständigen Leistungsfreiheit. Dies gelte insbesondere in den Fällen, in denen sich der Schweregrad der groben Fahrlässigkeit dem Vorsatz annähere.
Diese Grundsätze treffen nach Ansicht des BGH ebenso auf die Regelung des § 28 Abs. 2 VVG zu. Hinsichtlich der Rechtsfolge weisen beide Vorschriften einen identischen Wortlaut auf. Sie teilen auch dieselbe Entstehungsgeschichte. Anhaltspunkte für den Ausschluss einer Leistungskürzung auf null gebe es nicht, so der BGH. Weiter greife der Einwand des Beklagten, die vertragliche Regelung in D.3.1 AKB 2008 sei wegen fehlender Transparenz gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, nicht durch. Dieser Bestimmung, die sich im Kern lediglich dem Gesetzeswortlaut anschließe, könne der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnehmen, dass eine Leistungskürzung auf null in Fällen grober Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen sei.
Im Übrigen betont der BGH, dass die Kosten eines Sachverständigengutachtens zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen gehören, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist, wie das hier der Fall gewesen sei.
Das Urteil fügt sich nahtlos in die höchstrichterliche Rechtsprechung zum neuen VVG ein, indem es – wie bereits für § 81 Abs. 2 VVG (BGH, a.a.O.) – die Reduzierung der Versicherungsleistung auf null bei grob fahrlässiger Verletzung von vertraglichen Obliegenheiten in Ausnahmefällen bei besonders schwerwiegendem Verschulden des Versicherungsnehmers vorsieht.
BGH, Urteil vom 11.01.2012 – IV ZR 251/10