Der von einem Fahrverbot Betroffene muss berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge des Fahrverbots in Kauf nehmen; dazu gehört auch die Aufnahme eines Kredits.
Der Betroffene befuhr mit seinem Pkw eine Strecke außerhalb geschlossener Ortschaften, deren zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h beschränkt war, mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h. Er wurde durch das Amtsgericht wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 480 EUR verurteilt. Von der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots wurde abgesehen. Zur Begründung der Entscheidung, von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen, hat das Amtsgericht ausgeführt, ein solches Verbot sei für den Betroffenen mit unverhältnismäßigen Folgen verbunden. Als Verkaufsleiter betreue der Betroffene sechs Filialen einer Supermarktkette. Er suche im Umkreis von 50 bis 60 km etwa zwei bis vier Filialen pro Tag auf. Daher sei der Betroffene beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen. Zudem bestehe eine drohende Existenzgefährdung. Der Prokurist der Supermarktkette habe bekundet, dass keine Vertretungsmöglichkeit des Angeklagten bestehe. Zwar würde man sich von dem Angeklagten bei Verlust der Fahrerlaubnis nicht zwangsläufig trennen, sondern ihn auf dessen Urlaub von zwei Wochen verweisen. Für die restlichen zwei Wochen des Fahrverbotes müsse der Betroffene „sich organisieren“. Somit käme eine vollständige Verbüßung des Fahrverbotes während der Urlaubszeit nicht in Betracht.
Überdies könne der Betroffene im konkreten Einzelfall schon deshalb nicht auf seine Urlaubszeit verwiesen werden, da er seinen Jahresurlaub (mit einer Flugreise über 2.000 EUR) bereits fest gebucht habe. Der Betroffene werde im Falle der Verhängung eines Fahrverbotes die Reise absagen und das Fahrverbot in seiner Urlaubszeit „ableisten“ müssen, wodurch ihm ein finanzieller Schaden in Höhe des kompletten Reisepreises entstehe. Tue er dies nicht, so sei nach der Aussage des Prokuristen der Arbeitsplatz in Gefahr. Die Einstellung eines Fahrers könne ihm aus finanziellen Gründen nicht zugemutet werden. Er verdiene ca. 3.000 EUR brutto im Monat. Hiervon seien ca. 1.000 EUR Miete, 100 EUR Notebook-Miete, 150 EUR für Versicherungen, 100 EUR für eine Tagesmutter sowie allgemeine Lebenshaltungskosten abzuziehen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BKatV i. V. m. Nr. 11.3.7 der Tabelle 1 zum Bußgeldkatalog kommt die Anordnung eines Fahrverbotes von einem Monat wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG in der Regel in Betracht, wenn der Fahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 bis 50 km/h überschreitet. Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter. Diesem ist jedoch kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist. Der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist u. a. durch von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt. Er unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalog-Verordnung zählt.
Die vom Amtsgericht angeführten Umstände stellen keine hinreichenden Gründe dar, die das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle so abweichend erscheinen lassen, dass ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes angemessen wäre. Berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten rechtfertigen nicht das Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes. Eine solche Ausnahme liegt nur bei Härten ganz außergewöhnlicher Art wie z. B. dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes vor. Schwierigkeiten hat der Betroffene grundsätzlich durch Maßnahmen wie die Inanspruchnahme von Urlaub, die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxen oder die Beschäftigung eines Aushilfsfahrers auszugleichen. Für hierdurch auftretende finanzielle Belastungen muss notfalls ein Kredit aufgenommen werden. Die Belastungen durch einen solchen Kredit, sind – jedenfalls bei einem einmonatigen Fahrverbot im Hinblick auf dessen verhältnismäßig kurze Dauer – überschaubar.
Aus dem Urteil geht nicht hervor, dass dem Angeklagten insbesondere bei einer Kombination möglicher Ausgleichsmaßnahmen ein Ausgleich der Härten nicht möglich oder zumutbar wäre. Als Ausgleichsmaßnahmen kommen namentlich die Inanspruchnahme von Urlaub für einen Teil der Fahrverbotsdauer – in Absprache mit seinem Arbeitgeber – sowie für die Restdauer des Fahrverbotes z.B. der Einsatz eines Familienangehörigen als Fahrer und gegebenenfalls auch die Beschäftigung eines Aushilfsfahrers in Betracht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dies dem Betroffenen angesichts seiner finanziellen Verhältnisse (teure Urlaubsreise und geregeltes Einkommen) nicht möglich sein soll. Nötigenfalls muss er sich die hierfür erforderlichen Mittel durch eine Kreditaufnahme beschaffen.
In vielen Fällen belastet die Verhängung eines Fahrverbotes weit stärker als die Zahlung einer (hohen) Geldbuße. Daher müssen sich die Gerichte regelmäßig mit den Voraussetzungen für das Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots nach den §§ 25 StVG, 4 BKatV beschäftigen. Die Rechtsprechung stellt seit jeher hohe Anforderungen an das Absehen von einem Regelfahrverbot und verschärft diese in steter Regelmäßigkeit. So stellte das OLG Hamm noch mit einer Entscheidung vom 30.04.2007 fest, dass eine Kreditaufnahme zum Ausgleich der durch das Fahrverbot verursachten Härten nur ausnahmsweise zumutbar sei. Gerade einem abhängig Beschäftigten – wie vorliegend – könne dies in der Regel nicht zugemutet werden. Nur knapp sechs Monate später stellte dasselbe OLG dann fest, dass Belastungen durch einen Kredit, der in kleineren und für den Betroffenen tragbaren Raten abgetragen werden kann und der sich in überschaubaren Grenzen bewegt, grundsätzlich hinzunehmen seien. Mit der vorliegenden Entscheidung bleibt das Gericht dieser Linie treu.
OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2011 – III-3 RBs 337/11