Die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung muss immaterielle Schäden von Familienangehörigen eines Verkehrsunfallopfers decken, wenn diese einen solchen Anspruch nach dem anwendbaren nationalen Recht haben. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit zwei Urteilen vom 24.10.2013 entschieden. Erkenne das nationale Recht einen solchen Anspruch an, dürfe zudem die vorgeschriebene Mindestdeckung nicht unterschritten werden.
In beiden Ausgangsfällen verlangen Hinterbliebene von Verkehrsunfallopfern Ersatz des durch den Verlust ihres nahen Familienangehörigen entstandenen immateriellen Schadens. In Verfahren C-22/12 bat das slowakische Vorlagegericht um Klärung der Frage, ob die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung immaterielle Schäden von Personen decken muss, die den Todesopfern eines Verkehrsunfalls nahestanden. In dem Verfahren C-277/12 wollte das lettische Vorlagegericht zudem wissen, ob ein im nationalen Recht vorgesehener Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens aus einem Verkehrsunfall auf einen Höchstbetrag begrenzt werden darf.
Der EuGH hat entschieden, dass die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung immaterielle Schäden, den nahe Familienangehörige von Verkehrsunfallopfern erlitten haben, decken muss, wenn ein solcher Anspruch in dem anwendbaren nationalen Recht vorgesehen ist. Der EuGH erläutert, dass zwischen der Pflicht der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung zur Deckung von Schäden, die durch Kraftfahrzeuge entstehen, und dem Umfang des Ersatzes dieser Schäden im Rahmen der Haftpflicht des Versicherten zu unterscheiden sei. Während erstere durch EU-Recht festgelegt und garantiert sei, sei letztere im Wesentlichen durch das nationale Recht geregelt. Die Mitgliedstaaten könnten im Rahmen ihrer Haftpflichtvorschriften grundsätzlich frei regeln, welche Schäden von dieser Versicherung gedeckt sind, welchen Umfang dieser Schadensersatz hat und welche Personen Anspruch darauf haben.
Allerdings müssten sie nach der Zweiten Richtlinie 84/5/EWG sicherstellen, dass Personen- und Sachschäden in einer bestimmten Mindesthöhe gedeckt sind. Zu den zwingend zu deckenden Personenschäden gehörten alle Schäden, die aus einer Beeinträchtigung der Unversehrtheit der Person herrührten – wobei dies körperliche wie seelische Leiden umfasse – und aufgrund der Haftpflicht des Versicherten nach dem anwendbaren nationalen Recht zu ersetzen sind. Laut EuGH umfassen die nach den Richtlinien zu ersetzenden Schäden somit die immateriellen Schäden, deren Ersatz aufgrund der Haftpflicht des Versicherten durch das auf den Rechtsstreit anwendbare nationale Recht vorgesehen ist.
Im Verfahren C-277/12 hat der EuGH darüber hinaus entschieden, dass ein im nationalen Recht vorgesehener Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden nicht auf Höchstdeckungssummen begrenzt werden darf, die unter den durch die Zweite Richtlinie festgelegten Mindestdeckungssummen liegen. Denn in der Richtlinie sei bezüglich der gedeckten Schäden eine andere Unterscheidung als die zwischen Personen- und Sachschäden weder vorgesehen noch erlaubt.
EuGH, Urteil vom 24.10.2013 – C-22/12 ; C-277/12
(Quelle: Beck online)