Kann ein Versicherungsnehmer, der seine Wohngebäudeversicherung wechselt, nicht nachweisen, ob der Schaden vor oder nach dem Wechsel eingetreten ist, geht diese Unsicherheit nach Ansicht des Oberlandesgerichts Celle zu seinem Lasten. Die beiden Versicherer haften nur alternativ. Lasse sich die Haftung eines der Versicherer nicht mit der nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlichen Sicherheit bejahen, bedeute dies nicht, dass im Umkehrschluss der andere Versicherer haften würde.
Der Kläger macht Versicherungsleistungen wegen eines Leistungswasserschadens in seinem Haus geltend. Für sein 1974 errichtetes Einfamilienhaus unterhielt er bis zum 30.06.2003 eine Wohngebäudeversicherung bei der Streithelferin, ab dem 01.07.2003 bei der Beklagten. Am 24.07.2004 stellte er in der Küche Durchfeuchtungen fest, für die eine Leckage an der Kaltwasseranschlussleitung des Geschirrspülers in der Küche ursächlich war. Der von der Beklagten beauftragte Sachverständige sagte, es könne «aufgrund des zuvor beschriebenen Schadensbildes zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass der hier in Rede stehende Schaden bereits vor Beginn des aktuellen Versicherungsvertrages entstanden sein muss.»
Demgegenüber heißt es in dem von der Streithelferin veranlasst Gutachten: «Der Schadensverlauf und der Schadensumfang verweisen aus Sicht der Sachverständigen eindeutig darauf, dass der Schaden maximal nur wenige Monate, vielleicht sogar nur einige Wochen vor Schadensfeststellung eingetreten ist.“ Der vom Gericht beauftragte Sachverständige konnte die Frage nach dem Entstehungszeitpunkt der Leckage nicht beantworten, ein Beginn des Wasseraustritts vor dem 01.07.2003 sei «eher unwahrscheinlich», aber aus technischer Sicht «nicht auszuschließen».
Der Kläger vertritt die Auffassung, es gebe eine Reihe von Indizien, die dafür sprächen, dass die Schadensursache erst nach dem 01.07.2003 eingetreten sei. Die Beklagte vertritt demgegenüber die Auffassung, der Kläger habe den erforderlichen Vollbeweis für einen Versicherungsfall nicht erbracht.
Nach Auffassung des OLG Celle kann die Beweisnot des Klägers weder prozessrechtlich noch materiellrechtlich überwunden werden. Zwar verlange die Vorschrift des § 286 Abs. 1 ZPO als Beweismaßregel keine absolute Gewissheit über Tatsachen, jedoch genüge es nicht, wenn es «gut möglich» oder «überwiegend wahrscheinlich» ist, dass ein streitiges Geschehen sich entsprechend der Behauptung der beweisbelasteten Partei zugetragen hat oder die eine Darstellung des Sachverhalts eher zutreffender erscheint als die des Gegners. Der Richter dürfe und müsse in tatsächlich zweifelhaften Fällen einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit fordern beziehungsweise sich mit einem solchen begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Diesem Maßstab und der Darlegungslast nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO genüge das erstinstanzliche Urteil.
Das OLG Celle ist zwar der Ansicht, dass es wahrscheinlicher sei, dass der Versicherungsfall erst nach dem 01.07.2003 eingetreten ist, betont aber, dass mit bloßen Wahrscheinlichkeiten den Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO nicht zu genügen sei. Für den Kläger spreche auch kein Anscheinsbeweis. Dieser greife nur bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist. Es gebe aber keine Typizität bei der Frage, wie und wann ein Lochfraß zu einem Wasseraustritt führt.
Auch das materielle Recht biete keinen Lösungsansatz. Beklagte und Streithelferin hafteten nur alternativ. Stehe die Haftung eines der beiden Versicherer fest, scheide dies des anderen aus. Lasse sich jedoch wie hier die Haftung eines Versicherers nicht mit der nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlichen Sicherheit bejahen, bedeute dies nicht, dass im Umkehrschluss der andere Versicherer haften würde. Vielmehr trage der Kläger das Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts. Weiter lassen sich die Gedanken des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB hier nach Ansicht des OLG nicht übertragen (Haftung bei ungeklärter Kausalität), da diese Vorschrift aus dem Deliktrecht komme und für Fälle alternativer Kausalität (Urheberzweifel) oder auch zur Behebung sogenannter Anteilszweifel nicht gilt. Auch das Instrument der sogenannten Marktanteilshaftung («marketshare liability») lasse sich auf das deutsche Versicherungsrecht nicht übertragen. Eine Übertragung dieses Grundsatzes käme etwa im Bereich der Produkthaftung und der unerlaubten Haftung in Betracht, hier jedoch nicht.
Auch wenn das Urteil als «ungerecht» empfunden werden könnte, folgt es klar den Grundsätzen der Beweislastverteilung. Dem Versicherungsnehmer obliegt es nachzuweisen, zu welchem Zeitpunkt der Versicherungsfall eingetreten ist. Gelingt ihm das nicht, wäre es falsch, sich einen der Versicherer auszusuchen mit dem (Schein-)Argument, einer müsse für die Schäden einstehen. Schon vor dem Urteil des OLG Celle entsprach dies der, soweit ersichtlich, einhelligen Auffasung (vgl. ähnlich, auch zu einem Leitungswasserschaden in der Wohngebäudeversicherung, OLG Köln, Beschluss vom 14.02.2008 – 20 U 246/07, r+s 2008, 245).
Anders liegt der Fall bei § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB oder bei der sogenannten Marktanteilshaftung: Dort wird die aktive Schädigung von Gütern durch mehrere Beteiligte sanktioniert. Die Vorschrift des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB trägt der Beweisnot des Geschädigten Rechnung, der nicht in der Lage ist, nachzuweisen, wer genau von mehreren Beteiligten der Schadensverursacher ist.
OLG Celle, Urteil vom 10.05.2012 – 8 U 213/11